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MDR Selbstbestimmt, 10. September 2021

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[Video verfügbar bis 12.09.2022 ∙ 08:00 Uhr]

25. Deutsches Gehörlosensportfest in Dresden: "Viel Gas geben und wenig bremsen"

Das Deutsche Gehörlosensportfest ist eines der wichtigsten inklusiven Sportevents hierzulande. Jetzt fand es mit der Ausgabe zum 25. Jubiläum erstmals in Sachsen statt. Gegen alle Corona-Widrigkeiten und dank ehrenamtlichem Engagement. Was das Fest so besonders macht, warum Eislauflegende Katarina Witt in Dresden mit dabei war und eine Kartfahrerin das Motto der Stunde prägt ...

Das Deutsche Gehörlosensportfest ist eines der wichtigsten inklusiven Sportevents hierzulande. Ende August fand es erstmals in Sachsen statt, nachdem es corona-bedingt zwei Mal verschoben werden musste. 738 Sportlerinnen und Sportler aus ganz Deutschland und anderen europäischen Ländern nahmen an Wettbewerben in 16 Disziplinen teil, von Fußball über Leichtathletik, Tennis oder Beachvolleyball bis hin zum Kartfahren.

Jubiläumsgast Urs Breitenberger peilt Deaflympics 2022 an

Nach Dresden reisten neben Amateuren auch Spitzenathleten. So kam Urs Breitenberger, der bei der diesjährigen Tennis-Europameisterschaft der Gehörlosen im Mixed-Wettbewerb Gold und im Doppel Silber holte, zum 25. Deutschen Gehörlosensportfest. Auch wenn er verletzungsbedingt nicht auf dem Platz war, das Jubiläum wollte er trotzdem feiern:

Dabei ist es Breitenberger gewohnt, Barrieren zu überwinden: Wenn er im Mixed-Team antritt, dann, so erklärt er, helfe die "Tennissprache": "Man kennt sich lange. Man kann vom Mundbild ablesen, inzwischen aber auch die Gedanken des anderen erahnen. Das ist bei Hörenden ja auch so." Der Sport ist dem 33-Jährigen Andernacher Motor und Motivation: "Ich verdanke dem Sport sehr, sehr viel: Mein Selbstbewusstsein, mein Berufsleben, die Öffentlichkeit, die ich genieße, auch, dass ich Kontakte habe mit hörenden Sportlerinnen. Ich habe viele Freunde gefunden über den Sport." Sein nächstes Ziel sind die Deaflympics, die nun 2022 im brasilianischen Caxias do Sul ausgetragen werden sollen. Dann peilt er gleich drei Medaillen an. Traditionell finden sie rund ein Jahr nach den Paralympics statt, an denen keine Gehörlosensportlerinnen und -sportler teilnehmen.

"Gehörlosenkultur funktioniert ein bisschen anders"

Dass die Deaflympics weniger Beachtung finden, sei bedauerlich, findet André Brändel, der das Deutsche Gehörlosensportfest in Dresden mit seinem Team ehrenamtlich organisiert hat. Immerhin gebe es allein in Deutschland 80.000 Gehörlose. Brändel, der selbst einen Gebärdendolmetscher braucht, um mit Hörenden zu kommunizieren, weiß um die finanziellen Barrieren. Die Kommunikation bei einem großen internationalen Sportevent zu organisieren, bedeute hohe Kosten. Außerdem funktioniere die Gehörlosenkultur "ein bisschen anders" und es gebe unterschiedliche Regeln. An den Deaflympics dürften beispielsweise nur Menschen ab einem Hörverlust von 55 Dezibel teilnehmen, auch um Gehörlose gegenüber Hörenden nicht zu benachteiligen: "Zum Beispiel beim Tennis: Wie stark jemand an den Ball schlägt, das lässt sich für Gehörlose nur durch Sehen abschätzen. Da haben Hörende sonst klar einen Vorteil."

Cheforganisator Brändel freut sich über "Heimspiel"

Brändel ist in Dresden aufgewachsen. Er war Torhüter bei Rotation Dresden, in einem Club von Hörenden. Er sieht sich selbst als Vermittler. Seit sechs Jahren arbeitet der 47-Jährige für den Gehörlosen-Sportverband in Köln. 2015 bewarb sich der Dresdner Gehörlosen-Sportverein 1920 e.V. (DGSV) aus Anlass seines 100. Gründungsjubiläums 2020 um die Ausrichtung des 25. Deutschen Gehörlosensportfestes. Als Chef des Organisationsstabes kehrte Brändel in seine Heimatstadt zurück – und brauchte in Zeiten der Pandemie Durchhaltevermögen. Bis es dann Ende August klappte, auch wenn dann nicht mehr mit den urspünglich erwarteten mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu rechnen war.

Ehrenamtliches Engagement, Ehrengast Katarina Witt

Fast 200 Menschen haben ehrenamtlich gearbeitet, um das Fest auf die Beine zu stellen. Neun Austragungsstätten standen den Sportlerinnen und Sportlern in Dresden offen, die Stadt gewährte einen Nachlass bei den Mieten, der Freistaat unterstützte den Einsatz von Gebärdendolmetschern und Gebärdendolmetscherinnen, der sonst im ehrenamtlichen Bereich kaum möglich ist. Erfolgreich geworben wurde um viele verschiedene Sponsorinnen und Sponsoren.

Ehrengast und eine der Hauptförderinnen war Katarina Witt. Die Eiskunstlauflegende unterstützt durch ihre eigene, 2005 gegründete Stiftung Kinder mit einer körperlichen Behinderung dabei, Sport machen zu können:

Beachvolleyball auf Distanz per Videochat

as Wetter war zwar nicht ganz danach, dennoch wurden in Dresden auch die Deutschen Gehörlosen-Meisterschaften im Beachvolleyball ausgetragen. Tobias Franz und Marko Sudy traten an als Favoriten und holten schließlich Silber. Beide kennen sich seit acht Jahren und spielen jetzt wieder im Team. Gerade absolvierten sie die WM, "leider knapp an einem Medaillenrang vorbei". Auch sie wollen sich jetzt "fokussieren" auf die Deaflympics in Brasilien. Dabei ist es gar nicht so einfach, gemeinsam zu trainieren, lebt Tobias Franz doch in Hamburg und Marco Sudy in Köln:

Die Praxis sei sehr wichtig. Dafür braucht es Mobilität  – und mehr Barrierefreiheit im Alltag, wie Tobias Franz auf die Frage nach dem Stand der Inklusion betont: "Es sind schon Schritte erkennbar, aber auch noch viele Barrieren vorhanden. Zum Beispiel wenn ich am Bahnhof stehe und es kommen Durchsagen, weil ein Zug verspätet ist, alle gehen auf ein Mal woanders hin, und ich stehe da und habe das gar nicht mitbekommen."

Kartfahren: Good Vibrations und Gold für Alexandra Merkel

In Grimma, eine Fahrstunde von Dresden entfernt, befand sich die Rennstrecke für die Motorsportler bei den Deutschen Gehörlosenmeisterschaften 2021. 48 Fahrer und Fahrerinnen gingen an den Start. Dazu gehörte auch Kartfahrerin Alexandra Merkel vom GTSV Essen, die seit 20 Jahren dabei ist. Was für Hörende der Sound ist, sind für sie die Vibrationen, wie sie lachend erklärt. Sie würde sich wünschen, dass sich mehr Jugendliche und auch Frauen fürs Kartfahren begeistern: "Das war mal besser." Sie folgte ihrem Motto: "Viel Gas geben und wenig bremsen!" und holte Gold. Ein guter Tipp also, nicht unbedingt für jedes Pflaster, aber sicher für den beschwerlichen Weg hin zu mehr Inklusion.